Was hilft gegen Plastikmüll? Deutschlandfunk Interview mit Ingemar Bühler

Was hilft gegen Plastikmüll?

Umweltverbände fordern für das UN-Plastikabkommen, das kommende Woche in Nairobi verhandelt wird, eine Reduktion der globalen Plastikproduktion von bis zu 75 Prozent. Ingemar Bühler, Hauptgeschäftsführer von Plastics Europe Deutschland wurde vom Deutschlandfunk zu diesem Vorschlag interviewt.  

Was hilft gegen Plastikmüll?

Dies ist ein Transkript des Deutschlandfunk Interviews „Was hilft gegen Plastikmüll? Interview Ingemar Bühler„, vom 03. Juni 2023. Das Gespräch führte, Theo Geers, © Deutschlandfunk.

Deutschlandfunk: Am Telefon ist jetzt Ingemar Bühler. Er ist Hauptgeschäftsführer von Plastics Europe. Das ist trotz des englischen Namens der deutsche Fachverband der kunststofferzeugenden Industrie. Guten Morgen, Herr Bühler!

Bühler: Guten Morgen!

Deutschlandfunk: Herr Bühler, was wäre denn in Ihrer Branche los, wenn die Unternehmen, für die Sie sprechen, 75 Prozent weniger als bisher produzieren müssten. Wenn sie, vielleicht nicht von heute auf morgen, aber perspektivisch, eingedampft würden auf ein Viertel ihrer jetzigen Produktion?

Bühler: Zunächst einmal wäre das ein drastischer Einschnitt. Es wäre auch recht ungewöhnlich. Wir haben eigentlich bei keiner Materialproduktion einen derartigen Eingriff in den Markt. Es wäre vor allem ein Paradigmenwechsel. Wie Sie gerade dargestellt haben, sind wir in einer gesunden, stark wachsenden Industrie, die sich bereits in den vergangenen 20 Jahren in der Produktion verdoppelt hat. Wir haben gravierende Umweltprobleme, die wir gerade durch Innovation, aber auch durch Restriktion versuchen zu lösen. Wir haben eine sehr starke Prognose für weiteres Wachstum und die große Frage, die wir uns stellen ist, wie können wir einen Teil des Wachstums umsetzen und gleichzeitig in der Umweltbilanz, im Öko-Footprint unserer Industrie deutlich besser werden. Da ist eine ziemliche Aufbruchstimmung. Ein jetziger „Cut“, wie er zum Beispiel von Greenpeace gefordert wird, um ganze 75 Prozent, zieht das komplett raus. Da würde sich ein Großteil von Investoren, von Meinungsführern aus unserer Industrie zurückziehen und man würde wahrscheinlich die ganze Industrie auf ein Minimum zurückfahren. Was man durchaus machen kann. Das ist ein berechtigtes Interesse, was da vorgetragen wird. Ich glaube aber, Innovation wird dadurch aber komplett verhindert. Ich glaube, wir würden noch nicht einmal zu den aktuellen Standards signifikant besser werden.

Deutschlandfunk: Sie haben Greenpeace schon erwähnt, Herr Bühler. Was entgegnen Sie denn Greenpeace und Co? Von allen guten Geistern verlassen?

Bühler: Nein, überhaupt gar nicht, nein. Das sind alles respektable Leute, die sich hier äußern. Die schauen sich auch genau an, was sagen Wissenschaftler und beschäftigen zum Teil auch selbst Experten. Es gibt da eine ganze Reihe von Punkten, bei denen wir uns absolut einig sind. Ich glaube, der größte Punkt, bei dem wir vielen Umweltschutzorganisationen sehr nahe sind, ist die Abhängigkeit von fossilen Ressourcen in dem globalen Plastiksystem. Davon wollen wir signifikant wegkommen. Weil wenn wir in der Industrie von Reduktion sprechen, sprechen wir nicht unbedingt über die Reduktion der Produktion. Wir reden über die signifikante Reduktion von Erdöl und Erdgas, das wir heutzutage noch sehr stark brauchen. Um den weltweiten Bedarf an Kunststoffen zu decken, müssen wir nicht mit fossilen Ressourcen arbeiten. Wir können auf alternative Kohlenstoffquellen setzen und das ist der Weg der Transformation, den wir gerade beschreiten. Wir haben technologisch heute bereits alles zur Hand. Und das ist auch nicht zu stark auf Recycling fokussiert. Es gibt auch andere Technologien, mit denen wir Kunststoffe herstellen und im Kreislauf führen können, ohne dass wir Erdöl, zumindest nicht in dem Maße, wie wir es heute kennen, nutzen müssen – und dadurch schon einmal deutlich besser in der Umweltbilanz werden können.

Deutschlandfunk: Herr Bühler, Sie haben eben von alternativen Kohlenstoffquellen gesprochen. Wer mitreden will bei der Lösung des Problems, der muss eben auch Lösungsvorschläge machen. Was schlagen Sie konkret vor? Hauptsächlich mehr Recycling? Oder was ist es?

Bühler: Nein, nicht per se. Es geht uns aber schon darum, dass wir verbindliche Recyclingquoten haben. Über verschiedene Regionen, und vor allem international bindend. Wir haben hier schon hohe Ambitionen in einigen Ländern, wie in Deutschland oder in Japan, es bringt aber nicht allzu viel. Wir müssen dorthin gehen, wo die ganz großen Abfallmengen entstehen und dorthin, wo wahnsinnig viel produziert wird. Ein wichtiger Punkt für den Schutz der Meere ist der Ausbau von Abfallwirtschaftssystemen, zum Sammeln, zum Sortieren, zum Recyceln von Kunststoffen, von Abfällen, im generellen. Das ist wahnsinnig wichtig. Und wir sind da nicht einmal in der Europäischen Union auf einem gemeinsamen Standard. Das müssen wir signifikant ausbauen. Auch gerade, wenn wir uns die Vermüllung der Meere angucken. Das hat mit sieben großen Flüssen zu tun. Zwei davon in Afrika, der Rest davon in Asien. Überwiegend in Ländern, wo wir keine, oder keine guten Abfallsammel- und Sortiersysteme haben. Und ein weiterer Punkt, den wir sehr stark befürworten, ist die erweiterte Herstellerverantwortung und das zirkuläre Produktdesign. Da spielen die Technologien, die ich gerade genannt habe, mit rein. Zirkulär soll heißen, die Materialien, die für ein Produkt verwendet werden, werden am Ende der Nutzungsphase wiedergewonnen. Jedes Produkt, das ich als Kunde kaufe, kann zurückkommen und wird in einem Recyclingsystem wiedergewonnen und wir können neue Produkte daraus gestalten. Und das muss hochwertig sein. Und dafür verbindliche und klare Regeln zu haben, kann schon einen Großteil der Abfallproblematik lösen. Die andere Sache ist auch: Wir müssen Plastik neu denken. Wir brauchen smartes Plastik. Das heißt, wir brauchen einen smarten Einsatz. Wir brauchen funktionale und langlebige Anwendungen und Produkte, bei denen der Kreislauf funktioniert. Der Großteil des Plastiks, der im Meer landet, sind entweder Fischereinetze, das kann man lösen, dafür gibt es Ansätze, oder es sind  Verpackungsabfälle. Die sind leicht, die werden deponiert, das ist schon ein ganz, ganz großes Problem. Die werden nicht zurück in den Kreislauf geführt, sondern werden in vielen Ländern der Welt deponiert. Da gibt es dann Überschwemmungen, da gibt es Starkregen und dann landet das Ganze in den Flüssen und Meeren. Das sind Dinge, die man lösen kann. Und wenn man sich anschaut, was eine Helmholtz-Gesellschaft, oder ein Alfred-Wegener-Institut heutzutage sagt: Wir können allein über diese Maßnahmen gut 70-80 Prozent der Meeresvermüllung stoppen. Das wäre für mich der erste Ansatz, den wir gehen müssen.

Deutschlandfunk: Herr Bühler, das klingt alles sehr schön. Und möglicherweise ist sowas auch in Deutschland oder entwickelten Staaten möglich. Wir haben ja sehr hohe Verwertungsquoten, auch hier in Deutschland, was Kunststoffabfälle betrifft. Aber das Problem, sie haben es angesprochen, liegt woanders, in Afrika, oder auch in Asien. Würden dort verbindliche Recyclingquoten helfen?

Bühler: Die Quoten würden erst einmal nicht helfen, aber eine Verpflichtung möglichst hohe Mengen zu recyceln wäre gut. Es liegt tatsächlich ganz banal am Sammeln. Gibt es vernünftige Systeme auf kommunaler Ebene? Und dass der Müll überhaupt erst zu Hause abgeholt wird, dass er gesammelt wird, dass er ordentlich in die Infrastruktur gebracht wird. So, wie wir das in entwickelten Ländern kennen. Da gibt es in vielen großen Ländern noch nicht viel. Und ich glaube eine Verständigung, die auch stattfinden muss, bei solchen internationalen Abkommen, ist, dass man das nicht nur kritisiert, sondern dass wir gerade eben in Ländern, wo wir schon 60-70 Jahre Erfahrung mit solchen Systemen haben, dass man da Partnerschaften anbietet, dass man Know-how hat in der Politik, wie man das rechtlich löst. Aber eben auch auf unternehmerischer Basis, dass man Systeme und Technologien exportiert, um zu helfen, anstatt nur mit dem Finger nach Asien zu zeigen, wo ein Großteil des Mülls nicht verantwortungsvoll behandelt wird.

Deutschlandfunk: Herr Bühler, Plastikmüll sammeln, Plastikmüll recyceln, klingt alles toll, aber alles, was gesammelt und recycelt wird, wurde vorher auch produziert. Wenn man sich jetzt für verbindliche Recycling und Sammelquoten einbringt, heißt das nicht auch, es öffnet einer weiteren Ausweitung der Plastikproduktion Tür und Tor?

Bühler: Das ist die Gefahr. Ich glaube, da sind wir aber bei dem wirklich interessanten Punkt, wenn wir über Reduktion sprechen. Wir sind stark für eine Reduktion von einem Einsatz fossiler Ressourcen. Wir sind nicht, wie das andere Extrem, das gerade gesagt wurde, für eine Reduktion der Produktion per se. Ich glaube aber am Ende, dass wir für alle Industrien sehen müssen, dass die planetaren Grenzen eingehalten werden. Wir müssen ausrechnen, wie groß darf der Footprint einer Industrie sein und damit haben wir das Limit eigentlich schon erkannt.

Deutschlandfunk: Sagt Ingemar Bühler, der Hauptgeschäftsführer von Plastics Europe. Vielen Dank für das Gespräch.

Über den Verband

Plastics Europe ist der paneuropäische Verband der Kunststofferzeuger mit Büros in mehreren Wirtschaftszentren Europas. Mit fast 100 Mitgliedsunternehmen, die für mehr als 90 Prozent der Kunststoffproduktion in Europa stehen, sind wir ein bedeutender Akteur der Kunststoffindustrie, mit der Verantwortung, offen und eng mit den verschiedensten Interessengruppen zusammenzuarbeiten – um sichere, kreislauffähige und ressourcenschonende Ideen und Produkte zu entwickeln. Unser Ziel ist es, den Wandel der Branche hin zu mehr Nachhaltigkeit intensiv voranzutreiben.


Bettina Dempewolf: Sechs Maßnahmen, die langfristig gegen das Müllproblem helfen

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